Schon seit Jahren ist der Freitag vor den Pfingstferien fest für den Brucknerlauf zugunsten des Projekts „Die Kinder von Cali“ der Jesuitenmission Nürnberg reserviert. Anders als gewohnt lief der Tag für die Schüler*innen der 8. Jahrgangsstufe in diesem Jahr ab. Anstelle vom Aufwärmtraining auf dem Hartplatz und dem circa zweistündigen gemeinschaftlichen Wohltätigkeitslauf in gleichen Shirts rund um das Schulgelände, blieben alle in ihren Kinderzimmern und traten per Mausklick einem Meeting bei, dessen Teilnehmerzahl rasch auf über 100 stieg.
Im Mittelpunkt dieses Zusammentreffens stand es, den Blick über den Tellerrand hinaus zu weiten und eine wahre Ungerechtigkeit auf unserer Welt kennenzulernen. Pater Jörg Alt von der Jesuitenmission erwies uns die Ehre, uns in einem intensiven und doch kurzweiligen Vortrag die momentane Situation seines 84-jährigen indischen Bruders Stan Swamy nahezubringen. Stan hat es sich Zeit seines Lebens zur Aufgabe gemacht, sich gewaltlos für die untersten Bevölkerungsschichten der Dalits und Adivasi einzusetzen, indem er zum einen darum bemüht war, die Fähigkeiten der Einzelnen zu schulen, zum anderen aber auch mit den Menschen gemeinsam öffentlich in friedvollen Demonstrationen für ihre Rechte eintrat. Als gebildeter Mann war er in allen Medien stets sehr präsent und setzte sich damit wissentlich der Gefahr aus, sich mächtige Feinde bei der indischen Regierung zu machen. So kam es leider im Oktober 2020 zu seiner Verhaftung wegen des Vorwurfs des Terrorismus. Im Jahr 2017 sollten er und 16 weitere seiner Freunde und Kollegen an einer entsprechenden Veranstaltung teilgenommen haben. Er selbst bestreitet dies natürlich, da sein ganzes Leben einem friedlichen Widerstand gewidmet gewesen war. Sämtliche Beweise, die die Polizei heranzog, wirkten fingiert. Beeindruckend ist Stans Haltung zu seiner Verhaftung: Hingebungsvoll, fast märtyrerhaft äußerte er seine Freude darüber, dass er das Schicksal mit denen teilen dürfe, die er immer unterstützte. Stans Festnahme rief Proteste in ganz Indien hervor. Als man dem an Parkinson Leidenden seinen lebensnotwenigen Trinkbecher im Gefängnis verwehrte, weil man befürchtete, er könnte seinen Strohhalm als Waffe verwenden, rief man unter #SendASlipper dazu auf, Trinkbecher an Polizeistellen zu senden. Nach einer enormen Trinkbecher-Schwemme erhielt Stan schließlich seinen Becher zurück.
Trotz aller Proteste und Bittgesuche konnte leider bis heute seine Freilassung auf Kaution bis zur offiziellen Gerichtsverhandlung nicht erzielt werden. Stan geht es aktuell sehr schlecht. Zu seinem ohnehin schon geschwächten Zustand kommt noch, dass er sich im Gefängnis möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert hat. Alle Symptome deuten darauf hin. Eine Verlegung in ein gutes Krankenhaus in Bombay lehnt er jedoch ab, da es seinen ebenfalls inhaftierten Freunden, die wie er ärztliche Hilfe bräuchten, verwehrt wird. Dies geht aus einer aktuellen Pressemitteilung des heutigen Tages hervor.
Die von Pater Jörg geschilderte Problematik hat die Schüler*innen sichtlich betroffen gemacht, wie einige Nachfragen und Gesprächsbeiträge zeigten. Vor allem die Frage „Was können wir tun, damit Stan freigelassen wird?“ beschäftigte alle sehr, weswegen sie zum Gegenstand einer digitalen Gruppenarbeit (27 Breakoutsessions!) wurde. Hier hatten die Schüler*innen Gelegenheit, ihrem Unmut über Stans Situation Ausdruck zu verleihen. Sie verfassten Briefe, zum Teil sogar auf Englisch, in denen sie die menschenunwürdige und ungerechte Situation Stans schilderten und die indische Botschafterin Muktar D. Tamar in aller Eindringlichkeit baten, sich für seine Freilassung einzusetzen. Auch Stan selbst wurde mit warmherzigen Worten bedacht. Diese Unterstützungsbriefe werden gesammelt an die indische Botschafterin weitergeleitet werden, in der Hoffnung, Gehör zu finden und tatsächlich etwas Positives für Stan Swamy zu erreichen.
Wenn auch Sie Ihren Beitrag leisten wollen, unterzeichnen Sie gerne die Petition, die Sie unter folgendem Link finden:
https://www.change.org/p/devendra-fadnavis-appeal-for-fr-stan-swamy
Das Vorhaben, aus unserer Blase herauszukommen und die Augen für schwerwiegende Probleme in der Welt zu weiten, ist an diesem heutigen Tag auf jeden Fall geglückt. Betroffenheit über die menschenrechtsverletzende Lage in Indien und Ehrfurcht vor Stan Swamys Haltung bleiben nachhaltig zurück. Wir bedanken uns bei Jörg Alt SJ als Vertreter unseres langjährigen Kooperationspartners für seine Zeit und seinen Einblick!
Theresa Neudecker