Wer kennt sie nicht – die berühmte Melodie des „Can-can“ aus Jacques Offenbachs Oper „Orpheus in der Unterwelt“? Im „Karneval der Tiere“ taucht sie wieder auf, aber als langsamer Cantus firmus der „Schildkröten“ zu einer Begleitung der Klaviere, die entfernt an den Beginn von Schuberts „Erlkönig“ (in Watte verpackt!) erinnert. Mit dieser Technik, Musik anderer Komponisten verfremdend und mit ironischer Distanz zu zitieren, weist Saint-Saëns in seinem berühmten „Karneval“ von 1886 schon weit ins 20. Jahrhundert voraus.
Ins Abschlusskonzert des Bluval-Meisterkurses „Kammermusik und Neue Musik“ passten deswegen die Auszüge aus dem humoristischen Klassiker gut hinein. Das junge Kammerensemble aus Streichern der Mittel- und Oberstufe des Anton-Bruckner-Gymnasiums, flankiert vom eindrucksvollen Pianistenduo Paul und Peter Distler, spielte unter der Leitung des Münchner Gastdozenten Peter Tilling engagiert und zupackend – z. B. im „Marsch des Löwen“ oder im Satz „Pianisten“, einer Parodie auf Czerny-Etüden. In „wilde Esel“ wurde bravourös über die Tasten galoppiert; sphärische Klänge begegneten im „Aquarium“, und im berühmten „Schwan“ zelebrierten Johanna Alt und Paolina Gilfrich bezaubernden Cello-Gesang (das Arrangement der 2. Solostimme stammt von Musiklehrer Dr. Stoffels). Weitere beteiligte Streicher waren Judith Hiendl und Magdalena Alt (Violinen), Jamie Hutterer (Viola) und Johannes Fechter (Bass) –starke und engagierte Kräfte in ABG-Kammermusik und ABG-Orchester.
Für alle, die den gesamten „Karneval der Tiere“ hören möchten: Er wird am 23. 10. um 16 Uhr in Oberalteich mit den Gebrüdern Distler und dem Niederbayerischen Kammerorchester zu hören sein – im Rahmen des wie immer genussvollen und reichhaltigen „Bluval“-Festival-Programms.
Zwölftonmusik folgte dann mit Ernst Kreneks „Andante“ für Streicher (1948). Die jungen Musiker, zum Teil erstmalig mit derart neuartigen Harmonien konfrontiert, ließen sich mit voller Konzentration auf die ungewohnten und sehr expressiven Klänge ein. Mit Paul Hindemiths „Trauermusik“, die 1936 nach dem Tod des englischen Königs George V. entstanden war, ergab sich dann ein aktueller Bezug (vor kurzem verstarb ja Queen Elizabeth II.). Peter Tilling, der von Dr. Stoffels begleitet wurde, zeigte sich in dem kurzen, aber vielschichtigen Werk als exzellenter Cellist mit großem Ton und subtiler Gestaltungskraft.
Peter Distler, wie sein Bruder Paul ein hervorragender Klaviersolist, präsentierte anschließend vier Präludien von A. Scriabin aus op. 11. In eindrucksvoller Weise beleuchtete er die wechselnden Farbwirkungen und Temponuancen dieser Musik des „Fin de siecle“.
Abgerundet wurde der kurzweilige Abend von meditativen Klängen des estnischen Komponisten Arvo Pärt. Im berühmten Stück „Spiegel im Spiegel“ (Arr. für Kammerensemble: Dr. Stoffels) verbindet sich ein ruhiger Viertelpuls mit einer Durtonleiter, die sich allmählich zu einem getragenen „Cantus“ aufbaut, und dem Strahlen des dazugehörigen Durdreiklangs, der immer wieder in Einzeltöne zerlegt wird. Das Ensemble aus zwei Klavieren und Streichern (Ltg.: P. Tilling) schuf eine Atmosphäre der Ausgeglichenheit und positiven Stimmung – besonders wichtig in unserer unruhigen Zeit. Arvo Pärts Verständnis von Musik als heilender Kraft schwingt in folgender Äußerung mit: „Tod und Leiden sind die Fragen, die jeden Menschen beschäftigen. Davon, wie er für sich diese Fragen löst, hängt seine Lebenseinstellung ab – ob bewusst oder unbewusst.“